KW 51⁄2016
Liebe Omi
Hier sitze ich. Heute ist es auf den Tag genau ein Jahr her als Du von uns gegangen bist. Ich glaube es ist wichtig für mich erneut ein paar Zeilen an Dich zu richten. An diesem Tag ist es ist anders. Besonders. Das wird es ganz bestimmt immer sein.
Ich überlege was ich Dir erzählen möchte. Gerne würde ich Dir sagen, dass ich bis heute größer, besser und stärker geworden bin. Genau genommen bin ich aber eigentlich immer noch dieselbe als im letzten Jahr. Deine Enkeltochter. Tatsächlich fühle ich mich sogar oftmals so klein und ratlos, dass man meinen könnte ich bin wirklich noch ein Kind. Ich bin gewiss kein kleines Mädchen mehr, aber auch noch keine erwachsene Frau. Womöglich bin ich gerade dabei mit der Jugend abzuschließen. Auf jeden Fall habe ich aufgehört mir einzureden, dass es schade ist älter zu werden. Mein Bedarf an diesem Teil Kindheit und der damit verbundene Leichtigkeit ist gedeckt. Ich wäre gerne ernsthafter. Nicht, dass ich mir Sorgen oder belastenden Situationen wünsche von denen die Erwachsenen immerzu reden, aber sollten sie kommen so wäre ich bereit dafür. Vermutlich wird man auf diese Weise auch von ganz alleine „erwachsen“…
Was also kann ich Dir erzählen? Ich bin nicht größer, keinen Zentimeter. Ich bin auch nicht besser geworden und eher langsamer als noch schneller. Wobei ich es definitiv nicht als schlecht empfinde nicht mehr auf der Überholspur zu leben. Man könnte sagen ich habe mein Leben entschleunigt. Ich schätze meine Erkenntnis in dieser Sache. Ich habe auch im vergangenen Jahr Fehler gemacht und vermutlich nur teilweise daraus gelernt, aber sonst wäre das Leben ja am Ende auch viel zu einfach.
Wo stehe ich also heute? Was kann ich Dir mitteilen, dass Dich mit Stolz erfüllen würde? Ich glaube das Wichtigste wäre Dir zu versichern, dass ich auf meine Gesundheit achte und mich immer stets gut ernähren. Aber das tue ich nicht. Im Sport bin ich eine Lusche, denn mein innerer Schweinehund hat die Oberhand. Das Kochen habe ich sicherlich nicht verlernt, aber es macht mir aktuell einfach keinen Spaß mehr und meine Gesundheit strapaziere ich regelmäßig mit wilden Party-Exzessen. Klingt vermutlich nicht sonderlich zufriedenstellend… aber ich habe aufgehört mich deswegen zu geißeln. Ich vertraue in das Schicksal und den Moment. Ich weiß, dass andere Zeiten kommen werden und ich weiß auch, dass Du jetzt nicht enttäuscht von mir wärst. Würde ich Dir diese Dinge live erzählen können, dann würdest Du mich in diesem Moment mit deinem breiten Lächeln anblicken, deine Arme auf dem Tisch ablegen, sie verschränken und mir sagen: „Na, na, na Kind… das kannst Du aber besser!“ Du hast recht. Ich kann das alles besser – vielleicht im nächsten Jahr…
Auch ein paar der Ziele, die ich mir gesteckt habe konnte ich nicht erreichen. Eifer, Glaube und Zielstrebigkeit führen nicht immer zum Erfolg und ich glaube diese Lektion musste ich lernen. Natürlich will ich nicht nur klagen, aber dennoch bin ich nicht 100%ig mit mir zufrieden. Ja, ich beurteile mich lieber kritisch als mich selbst zu überschätzen. Ich wünschte Du könntest in diesen Momenten noch hier sein. Für mich da sein. Mir sagen, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist oder einfach eine Floskel wie diese: „Das war eben nicht das Richtige!“ Das Richtige? Wie konntest Du so sicher wissen was für Dich das Richtige ist? Ja, früher war alles anders… Vielleicht fehlt mir aber auch der Blick dafür oder dies lässt sich tatsächlich nur herausfinden, indem man alles mögliche ausprobiert und unzählige verschiedene Wege einschlägt.
Jedes Mal als ich an Dich gedacht habe in den vergangenen 365 Tagen, hatte ich das Gefühl, dass ich „könnte“ wenn ich nur ganz fest wollte. Immer wieder musste ich aufs Neue erkennen, dass ich noch so fest an Dich denken kann, es mich Dir aber nie wieder so nah bringen wird wie im echten Leben. In meiner heutigen Realität bist Du nun eben nicht mehr gegenwärtig. Eine Tatsache, die mir nach wie vor schwer fällt zu akzeptieren. Ich stelle mir immer wieder die Frage: Wie das wohl ist? Einfach nicht mehr das sein. Loslassen war eben noch nie meine Stärke…
Aber trotz allem kenne ich meine anderen Stärken. Einige davon hast Du mir mit auf den Weg gegeben. Ich hoffe es genügt Dir am heutigen Tag und enttäuscht Dich nicht all zu sehr, wenn ich Dir sage, dass ich niemals vorhabe diese Werte aufzugeben. Ich werde niemals den Glauben an mich verlieren. Für das kommende Jahr verspreche ich Dir mich zu bessern.
Und zuletzt will ich Dir sagen, dass der Mann, denn Du für Dein Leben/Deine Zukunft gewählt hast nur noch auf den Tag wartet Dir wieder nah sein zu können. Ich weiß Du hattest ab und an auch den Drang nach „mehr“, aber glaube mir, wenn ich sage: Er liebt Dich auch heute noch bedingungslos und für immer und er kann es nicht erwarten wieder bei Dir zu sein. Das ist Liebe!
Ich vermisse Dich!
Dein Mutschele
Und was meinst du?