Stell Dich vor! Beschreibe dich selbst aus einer anderen Perspektive.
Jeden Tag, es ist meist noch ganz früh und alles liegt im Dunklen verborgen, wenn ich zurückkommen aus dem Wald, nach einer aufregenden Zeit, wenn ich mich nach etwas Wärme sehne und mich ganz ausgehungert fühle, husche ich gut getarnt – im Schatten der Nacht – zurück nach Hause. Sobald in einem Raum der Erdgeschosswohnung das Licht angeht und das länger als ein paar Minuten, denn nachts konnte ich schon oft beobachten, dass in der Wohnung kurze Zeit das Licht brannte, genau dann öffnet sie mir die Türe. Ich kenne sie noch nicht lange, aber ich bin dankbar, dass mich dieser Mensch bei sich und seiner Familie aufgenommen hat. Sie hat so einen warmen Blick, der mich ihr gleich vertrauen ließ. Das war wichtig, sonst hätte ich meine Bedenken gehabt, hier einzuziehen. Nicht alle Menschen haben diesen Blick. Ich schleiche ihr am Morgen gerne zwischen den Füßen herum, um ihren Fokus auf mich zu lenken, doch sie wirkt meist, als wäre sie gedanklich an einem anderen Ort. Ein wenig müde und erschöpft schaut sie aus … Ich glaube, das liegt an diesem kleinen Jungen, der gelegentlich sehr laut werden kann.
An manchen Tagen muss ich schon unentwegt auf mich aufmerksam machen, dass sie mich füttert, bevor sie sich aus Pulver und Wasser dieses schwarze Gebräu zubereitet. Irgendwie scheint ihr das wichtig zu sein. Ich verstehe das überhaupt nicht, denn die Tasse bleibt ohnehin jeden Tag stehen, bis alle aus dem Haus sind. Meistens dampft der Inhalt dann auch nicht mehr. Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist genervt von mir und meiner Beharrlichkeit, aber die Zeiten in der Wildnis waren nun mal hart und besonders in den kalten Wintermonaten musste ich lange suchen, bis ich etwas zum Fressen fand. Bin ich die ganze Nacht unterwegs (ist täglich der Fall), habe ich morgens einfach einen Bärenhunger. Protestiere ich jedoch zu laut, dann wecke ich das große Kind, es gibt nämlich noch eines von dieser Sorte. Die beiden kleinen Menschen unterscheiden sich stark von den Großen, sind aber dennoch nicht gleichzusetzen. Der große Junge ist mir der liebste. Er schenkt mir die meiste Aufmerksamkeit. Eigentlich ist es mir ganz recht, wenn er früh aufsteht. Er füttert mich nämlich immer zuallererst und grault mich ausgiebig, anstatt sich wie die Frau um zehn Dinge gleichzeitig zu kümmern. Diese Familie ist sehr beschäftigt, die beiden großen Menschen sind ständig am Rotieren. Wir finden kaum Zeit zum Kuscheln. Die Frau ist natürlich überhaupt nicht begeistert, wenn ich alle anderen aus dem Schlaf reiße. Ich glaube sie sehnt sich nach etwas Ruhe, manchmal wirkt es sogar so, als wäre sie gerne einen Moment alleine.
Es kam schon vor, dass ich die Frau zum Stolpern brachte, weil ich ihr in der Küche so lange nicht von der Pelle rücke, bis sie mich versorgt. Ihre Nerven sind sehr zäh, ich kann sie quasi gar nicht zur Weißglut treiben und das ist mir in meinem bisherigen Leben schon bei einigen Menschen gelungen. Interessant und für mich als Katze anspornend zugleich. Irgendwann wird sie schon verstehen, dass ICH als Erstes dran bin. Wobei mir hier auch immer das kleine Baby in die Quere kommt. Oder der große Junge. Ach und manchmal auch der große Mensch. Und ja, da ist auch noch ein Hund, der ist ein wenig komisch, und diese kleinen Wassertiere, die so köstlich duften. Irgendwie scheint jeder etwas von ihr zu wollen. Ob sie auch ein Bedürfnis hat und welches das wohl ist?
Habe ich endlich (!) ihre Aufmerksamkeit, verschwindet diese Traurigkeit in ihrem Blick und weicht einer ganzen Portion Liebe, mit der sich mich anstrahlt. Ich glaube sie hat mich gern. Ganz bestimmt muss das so sein. Einen kurzen Augenblick später rieseln diese kleinen lustigen Brocken in meine Futterschale. Musik in meinen Katzenohren. Sie grault mir kurz den Nacken und stellt mir die Futterschale hin, bevor sie sich wieder ihren anderen Tätigkeiten widmet. Endlich meinen Hunger stillen.
Und was meinst du?