Jetzt liegt es fast ein Jahr zurück… Vor knapp 365 Tagen haben wir mehr oder weniger unbewusst entschieden, einen völlig anderen Weg als Familie einzuschlagen, als wir es uns jemals hätten vorstellen können. Es ist einfach passiert, so wie das im Leben oftmals ist. Chancen, Möglichkeiten tun sich auf und viel zu oft sind wir blind für die Abzweigungen, die das Leben uns bietet. Wir können nicht sehen, weil wir zu sehr in unseren Strukturen gefangen sind. Lediglich diese innere Stimme spricht immer wieder zu uns. Im Kern wissen wir ja eigentlich, was wir wollen, nur leider deckt sich das oftmals nicht mit dem, was wir tun. Ich höre diese Stimme schon sehr lange. Für mich der Ruf meiner Seele. Bestimmte Fähigkeiten habe ich nicht bekommen, um sie verkümmern zu lassen. Ich will meine Werkzeuge nutzen, mich ausprobieren, hinfallen, wieder aufstehen, fokussiert mit einem Ziel oder gleich mehreren Zielen vor Augen. Ich will MICH leben, mit jeder Faser spüren, erfüllt und glücklich sein. Und ich bin stark und leidenschaftlich genug, um in die Umsetzung zu gehen, wenn der richtige Moment gekommen ist.
…aber beginnen wir von vorne :)
Das generationsübergreifende Schema einer Familie durchbrechen!
Schwanger mit Baby Nummer drei zogen wir in einen anderen Ort. Wir fanden eine große Wohnung mit einem bezaubernden Garten, der Raum zur Verwirklichung bot. Endlich eigenes Obst und Gemüse anbauen und dennoch viel freie Fläche für die Kinder zum Spielen. Wir hatten einen Sandkasten, der so groß war wie ein Spielplatz, ein ehemaliger Teich. Wir adoptierten eine Gruppe Kaninchen und traten ein Viertel des Gartens für eine artgerechte Haltung ab. Der Hühnerstall wurde gezimmert und stand schon auf dem Grundstück hinter unserem Garten, welches wir ebenfalls mitnutzen durften. Der Große ging in den Waldkindergarten, und sein bester Freund und er wohnten wieder fünf Minuten voneinander entfernt, nachdem beide Familien umgezogen waren. Was für ein Zufall! Unsere Fahrgemeinschaft lief und erleichterte einiges. Der Mittlere sollte zur gleichen Tagesmutter gehen wie damals der Große, zufällig im neuen Wohnort. Ich wollte mich voll auf unsere Tochter konzentrieren, während mein Mann Vollzeit arbeiten würde.
Du bist mutig genug, um einen Neuanfang zu wagen!
So läuft das halt, so macht man das. Die Wege unserer Vorfahren sind gepflastert, und gewiss es fühlt sich sicher an, auf ihnen zu gehen. Sich als Familie in den Rahmen unseres “funktionierenden” Systems einfügen. Alles andere wäre zum damaligen Zeitpunkt für mich ebenfalls nicht in Frage gekommen. Und heute sage ich: Sicher, was ist schon sicher? Nichts in unserem Leben ist unveränderlich, außer dem Tod. Eine der größten Erkenntnisse für mich war, das generationsübergreifende Schema für meine Familie zu durchbrechen.
Etwas anders machen und sich dabei nicht falsch zu fühlen.
Die Kleine war noch nicht auf der Welt, da stand bereits fest, dass ich Midi nicht in Betreuung gebe, während ich in Elternzeit bin. Es fühlte sich für mich einfach nicht stimmig an. Mein Mann war erleichtert, er und ich fühlten dasselbe. Die Alternative? Wir holen uns eine Kinderfrau, quasi eine Tagesmutter in-house. Wir hatten einige Gespräche und auch Besuch der frühen Hilfen, weil das Baby mehr oder weniger mit in den Betreuungsalltag integriert würde. Alles war in trockenen Tüchern. Die erste Kinderfrau stellte sich vor, leider ein totaler Reinfall. Dann kam ein Krankenhausaufenthalt, eine Haushaltshilfe und letztendlich die Geburt meiner Tochter.
Während wir uns als frisch gebackene, fünfköpfige Familie einspielten, stellte mein Mann eine Frage in den Raum. Eine Frage, die alles verändern würde und deren Tragweite ich an jenem Abend nicht im Traum hätte abschätzen können. Ich war zunächst überfordert und brauchte einige Tage, um das für mich zu gestalten. Sobald ich jedoch Feuer gefangen hatte, und das liegt meinem Charakter zugrunde, brenne ich leidenschaftlich für eine Sache. Ich brannte hell und konnte selbst nicht glauben, was für ein Licht ich in mir entdeckt hatte.
Die Begleitung unserer Kinder? Volle Eigenverantwortung!
All das, was sich über die Jahre hinweg in meinem Lehrer-Ehegatten an Beobachtung, Erfahrung und Wissen gefestigt hatte, brachte uns auf einen ganz neuen Weg. Von vornherein stand fest: Wir gehen diesen Weg gemeinsam! Und damit ist nicht nur der partnerschaftliche Zusammenhalt gemeint, sondern das tatsächliche Wirken miteinander. Was in den darauffolgenden Monaten geschah, war mehr als verrückt. Wir schmissen täglich imaginäre Notizzettel in ein Glas, das so groß war wie eine Bodenvase. Schnell war klar, dass das genau die Richtung ist, die wir jetzt einschlagen wollen. Ich bin so dankbar für diesen Impuls und dafür, dass er stets vor Augen hatte, dass wir zu gegebener Zeit gewisse Entscheidungen treffen sollten, was die Zukunft unserer Kinder und der Familie anging.
Wir beschlossen, die Begleitung unserer Kinder komplett aufzuteilen, kindergartenfrei zu leben und später zunächst auch ohne Schule, denn das stünde für den Großen über kurz oder lang auch an. Wir werden zuhause sein und wir sind selbstverständlich fähig – als ihre Eltern – für all unsere Kinder da zu sein. Das Thema Eigenverantwortung wurde ganz großgeschrieben. Wir haben uns reichlich Zeit genommen, um in alles einzufühlen und herauszufinden, ob sich diese neue Richtung auch wirklich stimmig anfühlt. Ich durfte mich von etlichen Strukturen (ent)wickeln und das, was einst ein fester Knäuel war, wurde zu einem langen, roten Faden, dem ich bis dato folge.
Einmal Detox für alle Mitglieder der Familie, bitte!
Wir nahmen den Großen nicht von heute auf morgen aus dem Kindergarten, sondern bezogen ihn vollständig in unser Vorhaben ein. Häppchenweise und natürlich altersgerecht, stets im Gespräch mit dem wundervollen Team an Pädagogen im Waldkindergarten – keine Frage. Als ich ihn eines Morgens fragte: “Gehst du eigentlich gerne in den Kindergarten?”, antwortete er: “Ja, gerne, aber ich bin lieber zu Hause.” Seit diesem Tag entschied er selbst täglich aufs Neue und erst als wir feststellten, dass er die letzten drei Monate nicht mehr als eine Handvoll im Wald war, beschlossen wir, ihn abzumelden. Es folgte eine Zeit, die wir als Detox beschreiben würden. Das Kind hatte Langeweile, kein Rahmenprogramm. Diese Entgiftung (und das ist nicht negativ gemeint) verwandelte unseren Großen in ein kreatives Köpfchen, das heute stets etwas mit seiner Zeit anzufangen weiß.
Wir schenken uns, was im Leben unbezahlbar ist: Zeit.
Lange Zeit dachte ich, die Geburt meines zweiten Kindes hätte meinen ersten Sohn schnell groß werden lassen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, dass dieses Gefühl, einen Großteil seiner Entwicklung verpasst zu haben, daher rührt, dass ich einiges schlichtweg nicht mitbekommen habe. Logisch, denn er war die Hälfte des Tages mit den Pädagogen und anderen Kindern im Waldkindergarten. Alle Ups and Downs bei Midi stets mitzuverfolgen, jene kleinen Schritte in Richtung Kleinkind erlebe ich jetzt hautnah und pur. Ich sauge es auf wie ein Schwamm, wenngleich es stets eine große Herausforderung für mich war/ist, allen gerecht zu werden. Aber man wächst mit seinen Aufgaben? Richtig. Ich bin auf andere Art und Weise in meiner Mutterrolle angekommen und durfte einiges über mich lernen, erlebte mich, wie ich mich zuvor nicht kannte, und fühlte einiges, was bis zu diesem Zeitpunkt unter Tage blieb. Ich bin wahrhaftig, nahbar, authentisch, sicher nicht immer fair und ruhig, aber ich bin genau der Mensch, der an ihre Seite gehört. Ihre Mama. Und für unsere kleine Maus? Sie kam in diese Welt, sah und siegte. Ein weiteres Geschenk des Himmels, ich bin in unendlicher Dankbarkeit, dass mir dieses Leben noch ein Kind ihrer Art beschert hat. In ihrer Welt ist es selbstverständlich, dass ihre beiden großen Brüder jeden Tag mit ihr zusammen sind, wir alle als Familie. Wir schenken uns, was im Leben unbezahlbar ist: Zeit. Und hierfür verzichten wir gerne auf bestimmte Privilegien.
Unser gewöhnlicher Aufenthalt: Im Ausland.
Noch ehe das Jahr sich dem Ende neigte, nahm unsere Reiseplanung Fahrt auf: Wir werden sechs Wochen reisen. Punkt. Nachdem wir in den letzten sechs Jahren eigentlich wenig bis gar nicht im Urlaub waren, war das schon eine echt große Sache. Mit dem VW-Bus inklusive Anhänger (Grüße an Pizza Lorenzo gehen raus. Wir halten den kleinen, alten Würfel in Ehren!) über Frankreich nach Spanien, mit dem Ziel: Portugal. Der Bus kam übrigens genauso überraschend in unser Leben wie einige notwendige Dinge, die folgten. Wir wussten, es würde eine Herausforderung werden mit drei kleinen Kindern, aber wir haben sie gemeistert. Und was wir mit nach Hause gebracht haben, waren nicht nur unvergessliche Erlebnisse und wertvolle Lebenslektionen, sondern eine definitive Entscheidung für unsere Zukunft. Was wir im Vorfeld skizziert hatten, wurde nun in Beton gegossen. Here we go! Nicht auf in ein neues Abenteuer, auf in ein anderes Leben. 100% WIR. Auf unserem neuen Weg begegnen uns zahlreiche Hürden – von logistischen Problemen bis hin zu unerwarteten Niederlagen. Besonders die letzten Monate waren enorm kräftezehrend, vor allem durch finanzielle und rechtliche Themen und nicht zuletzt die erneute Wohnungsaufgabe.
Flexibilität & Mut, für eine Lebensgestaltung abseits der Norm
Tagtäglich ist es für uns eine Herausforderung, geduldig zu sein, kreative Lösungen zu finden und trotz Rückschlägen das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Eine Lebensgestaltung abseits der Norm erfordert Flexibilität und eine gute Portion Mut. Erst seit Kurzem ist mir klar, dass letztendlich genau der Mut es ist, der uns ermöglicht, unsere Komfortzone zu verlassen und neue Wege zu beschreiten. Nicht auf sich selbst zu vertrauen oder den Glauben daran zu verlieren, dass man die anstehenden Herausforderungen meistern kann, ist keine Option (mehr). Wir sind bereit, alle Ängste zu überwinden und uns auf das Unbekannte einzulassen.
Familien-status-quo: Vollzeit-Daddy und Working-Mom
Und genau hier stehen wir jetzt! Mein Mann ist jetzt Vollzeit-Daddy und ich werde ortsunabhängig arbeiten. Eine ganz neue Situation für uns als Paar, für mich als Frau und ihn als Mann. Und ja, wir könnten auch das klassische Schema fahren, sehr gut von seiner A13-Beamtenstelle leben, wofür er extra nochmal ein Studium gemacht hat. Wollen wir aber nicht. Nicht, ohne ausprobiert zu haben, ob dieses Modell nicht das ist, was eindeutig besser zu uns passt. Und das Schöne an allem ist? Wir (alle) haben jeden Tag die Möglichkeit, uns neu zu entscheiden und unser Leben – dieses eine Leben – so zu gestalten, wie wir es uns wünschen. Also worauf warten wir?
Und was meinst du?